In seiner Keynote Lecture zum Auftakt des zweitägigen Waldsymposiums „Waldwärts- Multitalent Wald im Dauerstress“ am 3. und 4. Dezember 2022 in der Klima Arena erläuterte Prof. Hans Jürgen Böhmer vom Institut für Geobotanik der Leibniz Universität Hannover, wo und wie lange schon der Klimawandel die Wälder der Welt beeinflusst. Befinden wir uns nur in der Fortsetzung eines langen, klimabedingten Waldumbauprozesses? Was hat das mit dem Waldsterben in den 1980er Jahren in Mitteleuropa zu tun, und wie sieht der globale Forschungsstand zum Problemfeld „Wälder im Klimawandel“ eigentlich aus?
Unter dem Titel „Beim nächsten Wald wird alles anders – Überraschungen in der globalen Waldforschung“ spannte Professor Böhmer einen Bogen vom Dürresommer 2022 bis in den Zeitraum um 1920, als unter den ersten Anzeichen einer ungewöhnlichen Klimaerwärmung im Norden Eurasiens und Amerikas eine polwärtige Verschiebung der Waldgrenzen einsetzte. Anhand von Beispielen aus seiner eigenen, jahrzehntelangen Forschung erläuterte er die seither zunehmend komplexen Auswirkungen auf die Langzeit-Dynamik unter anderem der Wälder im Pazifikraum, wo klimainduzierte Waldsterben mindestens seit den 1970er Jahren zum Landschaftsbild gehören.
Auf tropischen Inseln im Pazifik macht das Zusammenwirken von Klimaanomalien und veränderten Störungsregimen die eigentlich dichten Regenwälder für gebietsfremde invasive Pflanzenarten zugänglich. Synergien solcher biologischen Invasionen können zu einem „invasional Meltdown“ führen, in dessen Verlauf die natürliche Biodiversität der Inselregenwälder stark reduziert wird, bis hin zur Entstehung völlig neu zusammengesetzter Wälder, sogenannter „Novel Ecosystems“. Dabei werden nicht nur einheimische Pflanzenarten verdrängt, sondern ebenso Tierarten, etwa die im Boden lebenden und am Streuabbau beteiligten Springschwänze.
Böhmer warnte eindrücklich vor eindimensionalen Denkmustern und vorschnellen Festlegungen bei der Frage nach den Ursachen von Waldsterben und den Auswirkungen des Klimawandels auf das künftige Verhalten von Baumarten. Die Komplexität von Standortverhältnissen etwa im Hochgebirge verbietet einfache Schlussfolgerungen wie etwa jene, dass ein wärmeres Klima unmittelbar eine Verschiebung von Arealgrenzen „nach oben“ mit sich bringt. Eine aktuelle Studie aus Taiwan belegt, dass Baumarten in Bergregenwäldern individuell und nicht vorhersehbar auf die Klimaänderung reagieren. Pauschale Vorannahmen über Ursachen des Verhaltens von Bäumen und Zusammenhänge in komplexen Waldökosystemen sind deshalb immer kritisch zu hinterfragen. Alles verfügbare Wissen, insbesondere das Erfahrungswissen der Akteure vor Ort, die Perspektiven anderer Disziplinen, ältere wissenschaftliche Arbeiten und historische Quellen sind grundsätzlich zu berücksichtigen.
Große Sorgen bereiten Böhmer die zunehmenden Waldbrände etwa im Mittelmeerraum und insbesondere in Russland, wo allein in den letzten zwei Jahren eine Fläche der Größe Portugals natürlichen, durch Sommertrockenheit hervorgerufenen Bränden zum Opfer gefallen ist. Durch solche großflächigen Störungen werden enorme Mengen an CO2 freigesetzt, die den internationalen Bemühungen um die Reduzierung von Treibhausgasen zuwiderlaufen.